Logo Mehrgenerationenhaus - Startseite des Bundesprogramms Mehrgenerationenhäuser
Gut beraten in den Mehrgenerationenhäusern

Blick in die Praxis: „Wir sind für alle offen!“

„Ich bin schuld“ – diesen Gedanken sollen sich Angehörige von alkohol- und medikamentenabhängigen Menschen in einer Selbsthilfegruppe im Mehrgenerationenhaus Markdorf gegenseitig nehmen. Wie die Beratung in der Gruppe gelingt.

Warum ist mein Vater medikamentenabhängig? Habe ich dazu beigetragen? Wie kann ich meiner alkoholabhängigen Schwester helfen? Wo sind dabei meine Grenzen? Wer im persönlichen Umfeld mit Suchterkrankungen konfrontiert ist, hat viele Fragen und ist oft verunsichert. Häufig gibt es Beratungsangebote aber nur für die Betroffenen selbst. So war es auch in Markdorf. Deswegen rief Waltraud Albert vor 25 Jahren mit zwei anderen Personen die Selbsthilfegruppe für Angehörige von alkohol- und medikamentenabhängigen Menschen ins Leben. „Wir hatten immer das Gefühl, dass etwas fehlt. Deshalb war es uns wichtig, bei uns die Angehörigen in den Mittelpunkt zu stellen“, sagt sie. Das Gefühl, Schuld an der Sucht einer nahestehenden Person zu haben, kennen die meisten Angehörigen. Hätten sie sich nur anders verhalten, denken sie, müssten die Betroffenen nicht trinken oder Drogen nehmen. Diesen Gedanken sollen sie hier ablegen können, da er oft dazu führt, dass sie selbst krank werden. „Wir möchten, dass die Angehörigen wissen, dass sie mit dem Problem nicht alleine sind. Und, dass sie die Suchterkrankung nicht heilen können. Sie sollen wieder ein stärkeres Selbstwertgefühl bekommen und lernen, mehr an sich selbst zu denken“, erklärt Waltraud Albert.

Lernen von Leuten, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben

Eine besondere Bedeutung kommt in der Selbsthilfegruppe der Beratung untereinander zu. „Wir haben das ja alles hinter uns, wir waren alle irgendwann in einer Art und Weise mit der Sucht konfrontiert und genau deshalb können wir aus unseren Erfahrungen berichten“, erzählt die ehrenamtliche Leiterin der Gruppe. Was die Angehörigen für sich persönlich mitnehmen möchten, entscheiden sie selbst. Weil das Thema oft schambesetzt ist, haben viele Angst, Leute aus ihrem Dorf zu treffen. Manche nehmen einen weiten Weg auf sich, damit sie niemandem begegnen, den sie kennen. Sie möchten ihre Situation verheimlichen, obwohl das Umfeld oft ohnehin schon weiß, was los ist. Und dann hilft es umso mehr, wenn sie hören, dass andere Ähnliches erlebt haben. So fühlen sie sich besser verstanden. Die Erfahrung der Selbsthilfegruppe zeigt, dass es den meisten bereits sehr viel besser geht, wenn sie einfach über ihre Situation reden können. Zu Beginn jedes Treffens wird betont, dass das Erzählte den Raum nicht verlassen wird. Auch das gibt den Leuten Sicherheit.

Es gibt keine Patentlösung

Angehörige, die zum ersten Mal in die Gruppe kommen, erwarten oftmals eine einfache Patentlösung. Die gibt es aber nicht, da der Umgang mit der Sucht sehr individuell ist. „Manche kommen dann nicht mehr, weil sie nicht bekommen haben, was sie sich erhofft haben. Wir sind eine Selbsthilfegruppe, man muss schon etwas tun“, betont Waltraud Albert. „Natürlich muss niemand etwas sagen, wenn er oder sie nicht möchte. Viele hören am Anfang auch erst einmal nur zu. Die Angehörigen sollen in der Gruppe aber lernen, sich wieder um sich selbst zu kümmern und die eigenen Interessen wahrzunehmen. Sie müssen den Fokus wieder zurück auf sich lenken. Klar ist, dass die meisten nur kommen, wenn der Schmerz sehr groß und der Leidensdruck schon sehr hoch ist.“

Jeden zweiten Donnerstag ab 19 Uhr steht die Selbsthilfegruppe im Mehrgenerationenhaus Markdorf allen offen. Manche kommen schon seit vielen Jahren. „Dadurch haben wir schon das Gefühl, dass die Selbsthilfegruppe etwas bewirkt“, so Waltraud Albert. Besucht wird die Gruppe zwar immer noch am meisten von Angehörigen von alkoholabhängigen Menschen, es kommen jedoch auch Angehörige, die Themen wie zum Beispiel Essstörungen oder Spielsucht thematisieren. Für Waltraud Albert ist eines klar: „Wir sind für alle offen!“