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Chancengleichheit und Teilhabe für von Armut betroffene Menschen – Mehrgenerationenhäuser setzen sich ein

Im Gespräch mit Michaela Engelmeier: „Wir brauchen kostenfreie Begegnungsorte“

Aus dem Miteinander in den Mehrgenerationenhäusern kann viel Gutes für Menschen entstehen, die von Armut betroffen oder bedroht sind. Davon ist Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, überzeugt.

Wie groß ist das Problem mit der Armut in unserer Gesellschaft – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen?

Seit 2010 nimmt die Armut in Deutschland kontinuierlich zu. Schon vor der Corona-Pandemie, der Inflation und der Energiekrise war bereits jede sechste Person davon betroffen. Seit 2021 ist es jede fünfte. Wir bekommen im Moment täglich E-Mails und Anrufe von unseren Mitgliedern, dass sie sich nicht mehr trauen, ihre Heizung anzumachen oder am Ende des Monats vor einem leeren Kühlschrank stehen. Armut ist längst kein Randphänomen mehr. Spätestens seit den letzten Entwicklungen betrifft sie viele Menschen bis tief in die Mitte der Gesellschaft hinein. 

Wie fühlen sich Menschen, die von Armut betroffen oder bedroht sind? 

Wenn schon Mitte des Monats kein Geld mehr übrig ist und die Gedanken sich nur noch darum drehen, wie die nächste Rechnung bezahlt werden kann, gibt es auch keinen Spielraum mehr für soziale Teilhabe. Der Café-Besuch mit einer Freundin ist dann einfach nicht drin. Die Menschen fühlen sich deswegen vor allem abgehängt und einsam. Hinzu kommt, dass sich viele für ihre Situation schämen. Das kann auch dazu führen, dass sie in verdeckter Armut leben und zum Beispiel ihnen zustehende Leistungen gar nicht erst abrufen. 

Welche Unterstützung braucht es? 

Wir werden als Sozialverband Deutschland nicht müde, zu betonen, dass wir bessere Löhne und Renten brauchen, damit sich alle ihr Leben ganz ohne Sozialtransfer leisten können. Darüber hinaus geht es darum, den Menschen bewusst zu machen, dass sich ihre Lebenssituation verbessern kann. Sie wissen zum Beispiel häufig nicht, dass ihnen Grundsicherung, Wohngeld oder Kinderzuschlag zustehen. Hier kommt es auf die passende Beratung an. 

Neben der Verbesserung der finanziellen Situation ist aber auch eine gesellschaftliche Veränderung wichtig. Wir müssen das Stigma, das Menschen mit geringem Einkommen oder im Leistungsbezug anhaftet, überwinden. Das Vorurteil zum Beispiel, dass Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger faul sind, ist schlichtweg falsch. Knapp 25 Prozent von ihnen müssen trotz einer Erwerbstätigkeit Sozialleistung beziehen. Und das heißt konkret, dass sie neben ihrem Vollzeitjob und gegebenenfalls der Kinderbetreuung auch noch die Anforderungen der Behörden erfüllen müssen, um ihre Ausgaben halbwegs decken zu können. 

Welche Rolle spielen die Mehrgenerationenhäuser bei der Unterstützung?

Wir brauchen kostenfreie beziehungsweise kostengünstigere Begegnungsorte. Nur so können von Armut Betroffene in Kontakt mit anderen bleiben und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Ich bin überzeugt davon, dass die Mehrgenerationenhäuser ganz entscheidend dazu beitragen, der Einsamkeit der Menschen den Kampf anzusagen. Außerdem können sie helfen, Stigmatisierung abzubauen. Dort, wo sich Menschen begegnen, wo sie miteinander umgehen, entstehen Vorurteile erst gar nicht. Man bekommt direkt mit, dass es jemandem, der seit zehn Jahren keinen Arbeitsplatz findet, nicht gut geht. Statt diese Person kritisch zu betrachten, kann man sie im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützen. Deswegen ist das Miteinander so wichtig. Aus Gemeinschaft kann so viel Gutes entstehen.

 

Zur Person

Michaela Engelmeier ist Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD). Die Selbsthilfeorganisation macht sich seit über 100 Jahren für soziale Gerechtigkeit stark und stellt Menschen, die soziale Unsicherheit erleben, in den Fokus der Arbeit.