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Gemeinsam stark vor Ort – Mehrgenerationenhäuser als Brückenbauer

Im Gespräch mit Prof. Dr. Claudia Neu: „Gemeinsam etwas zu bewirken, stärkt den Zusammenhalt“

Unterschiedliche Lebensbedingungen, Klimawandel und demografischer Wandel – Professorin Claudia Neu erklärt im Interview, wie die Mehrgenerationenhäuser und ihre Netzwerke helfen können, gesellschaftliche Herausforderungen zu meistern.

Was sind aus Ihrer Sicht aktuell die zentralen Herausforderungen in den unterschiedlichen Sozialräumen wie Stadt und Land?

Eine Abgrenzung von Stadt und Land führt uns meiner Meinung nach bei dieser Frage nicht weiter. Denn es gibt Räume, die bieten überdurchschnittlich gute Lebensbedingungen und es gibt Räume, die tun das nicht. In einigen ländlichen Gebieten fehlt zum Beispiel Gesundheits- oder Verkehrsinfrastruktur. In bestimmten großstädtischen Bezirken leben mehr als 50 Prozent der Kinder in Armut. Wir dürfen daher nicht aus den Augen verlieren, dass es darauf ankommt, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. In bestimmten Räumen zu leben, darf nicht zur Benachteiligung werden. Und vor allem müssen wir Orte schaffen, an denen sich Menschen aus unterschiedlichen sozialen Milieus begegnen können. Denn wer nie miteinander ins Gespräch kommt, kann auch kein gegenseitiges Verständnis aufbringen. Empirische Daten belegen, dass die Menschen glauben, die Gesellschaft falle auseinander. Und das stellt eine Gefahr für den Zusammenhalt und die Demokratie dar.

Was können wir tun, um dem entgegenzuwirken? 

Es gibt nicht die eine Lösung. Ich sehe es als eine große Aufgabe – auch der neuen Bundesregierung –, einen Zukunftsdiskurs anzuregen. Wir brauchen gesamtgesellschaftliche Visionen – zum Beispiel dazu, wie wir mit dem demografischen Wandel oder der Klimakrise umgehen wollen. Um das zu schaffen, kommt es auch auf lokales Engagement und individuelle Lösungen für die unterschiedlichen Bedarfe vor Ort an. Die Bürgerinnen und Bürger haben ganz konkrete Vorstellungen, was sie brauchen und was sie auch nicht möchten. Wenn wir sie animieren können, in ihrem Lebensumfeld gemeinsam etwas zu bewirken, stärkt das den Zusammenhalt und färbt dann – so zumindest die Hoffnung – auf das große, gesamtgesellschaftliche Wir-Gefühl ab. Dafür brauchen die Menschen natürlich Gestaltungsfreiräume. Wir müssen ihnen zutrauen, dass sie mit der Unterstützung von Akteurinnen und Akteuren aus der Verwaltung oder Unternehmen gute Ansätze für die Zukunft entwickeln können.

Welche Rolle können die Mehrgenerationenhäuser dabei spielen?

Es kommt nicht allein auf die Motivation der Bürgerinnen und Bürger an. Sie brauchen auch die passenden Rahmenbedingungen und öffentliche Infrastrukturen, an denen sich Engagement erst anlagern kann. Wichtig sind auch Soziale Orte, an denen Menschen sich begegnen und ihre Ideen realisieren können. Die Mehrgenerationenhäuser können solche Sozialen Orte sein. So können sie Räume und Ressourcen bieten, die sie unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren zur Verfügung stellen und so als lokale Kooperationspartner Menschen zusammenbringen. Ihr großer Vorteil ist, dass sie viel Erfahrung darin haben, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Generationen oder Milieus zu reagieren und sie zu vereinen. Von zentraler Bedeutung ist auch hier ein Netzwerk aus verschiedenen Partnerinnen und Partnern vor Ort. Das ermöglicht den Mehrgenerationenhäusern, sich flexibel an die Bedarfe ihrer Besucherinnen und Besucher sowie Mitwirkenden anpassen zu können. So wirken sie in die Stadtteile oder die Regionen hinein, in denen sie angesiedelt sind.

Warum sind flexible Netzwerke so wichtig?

Gute Netzwerke aus verschiedenen Akteurinnen und Akteuren zeichnen sich durch Resilienz aus, können also auf unterschiedliche, auch schwierige, Herausforderungen reagieren – ohne zu zerbrechen. Vor allem in der Corona-Pandemie hat sich noch einmal gezeigt, dass gut funktionierende Netzwerke, in denen unterschiedliche Player zusammengespielt haben, besser auf diese schwierige Situation reagieren konnten, weil sie sehr schnell passgenaue Lösungen entwickeln konnten. Im Angesicht des demografischen Wandels und der drohenden Klimakrise werden wir voraussichtlich sehr viel mehr auf lokale Lösungen setzen müssen, die von unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren aus Zivilgesellschaft, Verwaltung und Unternehmen ausgehandelt werden, um gute, gleichwertige Lebensbedingungen zu schaffen und den Zusammenhalt zu stärken.

Zur Person
Prof. Dr. Claudia Neu leitet den Lehrstuhl Soziologie ländlicher Räume an den Universitäten Göttingen und Kassel. Dort forscht sie unter anderem zu bürgerschaftlichem Engagement und zum Wert gleicher Lebensverhältnisse.