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Wie Mehrgenerationenhäuser Angebote umsetzen: Neues aus den Häusern

Kurzbesuche: Was gibt es Neues in der Flüchtlingsarbeit der Mehrgenerationenhäuser?

Dass die Mehrgenerationenhäuser mit ihren Freiwillig Engagierten in der Flüchtlingsarbeit unverzichtbar sind, zeigte sich schon im Mai-Newsletter zum Thema „Willkommenskultur für Flüchtlinge“[Link]. Seit Mai hat sich die Zahl der ankommenden Menschen stark erhöht und das Engagement ist wichtiger denn je. Bei drei Kurzbesuchen in Seesen (Niedersachsen), Rehau (Bayern) und Weimar (Thüringen) berichten Mehrgenerationenhäuser von ihrer Arbeit mit und für Flüchtlinge.

Erster Besuch: Das Mehrgenerationenhaus Seesen (Niedersachsen)

In der niedersächsischen Stadt Seesen leben 19.900 Menschen. Etwa 200 von ihnen sind gerade als Flüchtlinge in die Stadt gekommen, in der sie dezentral untergebracht sind. Von diesen 200 Menschen trifft man regelmäßig 170 im Mehrgenerationenhaus Seesen. Sie lernen hier Deutsch, werden von Engagierten zu Ämtern und Arztbesuchen begleitet oder unterhalten sich einfach im Offenen Treff.

Dass das Mehrgenerationenhaus zu einem solchen Magneten für die geflüchteten Menschen geworden ist, liegt vor allem daran, dass sich rund 30 Seesenerinnen und Seesener für die Flüchtlinge engagieren.

„Wir haben hier in Seesen seit 20 Jahren Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit“, berichtet Marion Deerberg, die Koordinatorin des MGH Seesen. „Bereits in den 90er Jahren kamen hier sehr viele Flüchtlinge aus den Balkanstaaten aber auch aus arabischsprachigen Ländern an, die mittlerweile eben seit 20 Jahren in Seesen leben. 15 unserer Ehrenamtlichen haben daher selbst Fluchterfahrungen gemacht oder haben einen Migrationshintergrund. Diese Leute sind wie Brückenbauer für die neuankommenden Flüchtlinge, da sie die Erfahrungen und die Sprache teilen“, so Deerberg weiter.

„Ganz wichtig für unsere Arbeit ist die sehr gute Zusammenarbeit mit der Stadt und mit dem Landkreis“, ergänzt Frank Schmidt vom Seesener MGH. „Wenn die geflüchteten Menschen hier in Seesen ankommen, werden sie vom Landkreis gleich informiert, dass sie zu uns kommen können und welche Angebote es bei uns für sie gibt“, so Schmidt weiter.

Durch die Kooperation mit der Firma Herrewyn konnte das Mehrgenerationenhaus ein Projekt mit Nachhaltigkeit ins Leben rufen: Die Firma gibt jugendlichen Flüchtlingen die Möglichkeit, ein Praktikum zu absolvieren, und eröffnet danach eine Ausbildungsperspektive. Das Mehrgenerationenhaus begleitet die Jugendlichen mit Dolmetschern zum Vorstellungsgespräch und unterstützt sie mit Sprachkursen, damit sie die Ausbildung meistern können. Der erste Auszubildende, ein junger Mann aus dem Kosovo, hat gerade seine Ausbildung begonnen. „Dadurch hat er jetzt auch eine Bleibeperspektive, die er ohne eine Ausbildung nicht gehabt hätte“, ergänzt Frank Schmidt.

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Zweiter Besuch: Das Mehrgenerationenhaus in Weimar–West (Thüringen)

„Es gibt Situationen in denen es einfach das Wort braucht, wo Zeichen und Bemühungen nicht mehr reichen“, stellten Anne-Kathrin Lange und ihr Team vom Mehrgenerationenhaus Weimar-West fest. Damit genau in solchen Situationen keine Missverständnisse entstehen, hat das Mehrgenerationenhaus den Sprachmittler-Pool für Behörden, Ärzte, Schulen, Kindergärten sowie soziale und gemeinnützige Einrichtungen aufgebaut.

58 Freiwillige bieten dort ihre Dienste als Übersetzerinnen und Übersetzer an. „Sie alle sind keine geprüften Dolmetscherinnen oder Dolmetscher. Dennoch entspricht ihre Arbeit hohen Standards“, betont Lange. „Alle Sprachmittlerinnen und Sprachmittler sind Muttersprachler oder haben die jeweilige Fremdsprache studiert.“ Ungefähr 60 Prozent der Engagierten sind Studierende, die relativ flexibel über ihre Zeit verfügen können und auch in akuten Notfällen einspringen.

„Aktuell leben 712 Flüchtlinge in Weimar“, berichtet Anne-Kathrin Lange. Schon bei ihrer Ankunft am Rathaus steht ein Übersetzerteam bereit und begleitet die ersten Schritte.
„Dadurch entsteht noch mal eine neue Willkommenskultur: Wir zeigen, wir haben eure Sprache schon hier“, erzählt Frau Lange. Und keiner kann dieses Gefühl und das nötige Vertrauen besser vermitteln als der Koordinator des Sprachmittler-Pools selbst: Kamel Ramooz kam selbst als Flüchtling nach Deutschland und spricht 6 Sprachen. Er vermittelt den Kontakt zwischen den Institutionen und den Sprachmittlerinnen bzw. Sprachmittlern.

Die Nachfrage von Seiten der Schulen, Kindergärten und Behörden ist immens. Sogar Anfragen aus Jena und Erfurt gibt es. Die Weimarer Kindergärten haben zum Beispiel gemeinsam einen Leitfaden für Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten formuliert. Dank des Sprachmittler-Pools konnte er in die benötigten Sprachen übersetzt werden.

Die Übersetzungsdienste kosten für die Auftraggeber, also die Institutionen, 10 Euro pro Stunde. So ist es möglich, den Freiwilligen eine kleine Aufwandsentschädigung zu zahlen. Diese Anerkennung ermöglicht es, gewisse Qualitätsstandards aufrecht zu erhalten und motiviert für ein dauerhaftes Engagement.

Außerdem kann sich das Mehrgenerationenhaus stark mit Partnern wie den Universitäten, Kommunen, Schulen und Kindergärten vernetzen. „Wir bündeln die großartigen Sprachkompetenzen, die es hier in Weimar gibt, und helfen sie nutzbar zu machen“, fasst Frau Lange das Erfolgsprojekt zusammen.

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Dritter Besuch: Das Mehrgenerationenhaus in Rehau (Bayern)

Birgit Weber, die Koordinatorin vom Mehrgenerationenhaus in Rehau, hat bereits im Mai-Newsletter zum Thema Willkommenskultur für Flüchtlinge berichtet, wie sich das Mehrgenerationenhaus auf eine damals lediglich geplante Flüchtlingsunterkunft vorbereitet hat.

Seit dem letzten Gespräch mit Birgit Weber, als noch unklar war, ob überhaupt Flüchtlinge nach Rehau kommen werden, sind nun gut acht Monate vergangen. „Mittlerweile leben 76 geflüchtete Menschen hier in Rehau. 60 von ihnen – das sind überwiegend Familien mit Kindern – wohnen im Tannenberg-Heim und 16 Flüchtlinge leben in einem leerstehenden Wohnblock in der Stadt“, berichtet Frau Weber.

Zur Infoveranstaltung im Februar 2015, über die wir im Mai-Newsletter berichtet haben, hatten sich rund 30 Freiwillige gemeldet, die sich für die Flüchtlinge engagieren wollten. „Mittlerweile sind 88 Bürgerinnen und Bürger regelmäßig aktiv dabei, wenn es darum geht, Fahrdienste zu leisten, Sprachkurse zu geben, Menschen zu begleiten oder Spenden anzunehmen und zu verteilen“, erzählt Birgit Weber.

Ein Beispiel dafür ist der Deutschkurs, der seit August zweimal die Woche von insgesamt zehn Freiwilligen angeboten wird. Es wurden auch schon Kleiderspenden und Schulausstattungen für die Kinder gesammelt, sortiert und verteilt. „Aktuell sind wir gemeinsam mit einem Engagierten dabei, WLAN im Haus Tannenberg einzurichten. Mit seiner Unterstützung und der der Bewohnerinnen und Bewohner wurden bereits die technischen Voraussetzungen geschaffen und 800 Meter Kabel im Haus Tannenberg verlegt“, erzählt Birgit Weber. „Die evangelische Kirchengemeinde und der Freifunk Franken unterstützen ebenfalls das Projekt und alle Leute, die im Haus leben, haben sich mit 10 Euro an den Materialkosten beteiligt, damit das Projekt so schnell wie möglich gelingen kann.“

Das enorme Engagement in Rehau muss aber auch begleitet werden. Auf die Eingangsfrage, wie die Lage nach dem letzten Gespräch in Rehau nun sei, antwortete Birgit Weber ganz spontan: „Anstrengend!“ Birgit Weber überzieht ihre Arbeitszeiten regelmäßig und der größte Teil ihrer Zeit fließt in die Flüchtlingsarbeit ein. „Man muss schon darauf achten, dass man nicht ausbrennt“, so Weber. „Die Begleitung der Freiwilligen kostet ja zusätzlich Kraft und Zeit, die man aufbringen muss.“

„Wenn man durch den Einsatz wirklich etwas bewirkt, hilft das sehr über den Stress“, so ist Birgit Webers Fazit. „Die Menschen machen einfach wett, dass es so anstrengend ist.“

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